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Ökumenische Gemeindepartnerschaften am Ort

Vom 28. November 2005

(KABl. 2005 S. 307)

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Leitlinien aus der evangelisch-katholischen Kommission der (Erz-)Bistümer Paderborn und Münster, der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Lippischen Landeskirche
1. Vorwort
Wir haben mit Dankbarkeit erlebt, wie in den letzten Jahrzehnten zwischen den christlichen Kirchen im Bereich Westfalen/Lippe eine Bewegung eingesetzt hat, die aufeinander zuführt. Aus einem über Jahrhunderte andauernden feindlichen Gegeneinander oder zumindest konkurrierenden Nebeneinander hat sich mittlerweile auf allen Ebenen ökumenischen Handelns ein vielfach selbstverständliches und geschwisterliches Miteinander entwickelt. Dieser ökumenische Prozess fand in verschiedenen gemeinsamen Veröffentlichungen1# seinen sichtbaren Ausdruck, an die an dieser Stelle ausdrücklich erinnert werden soll.
Unser gemeinsames Fundament ist der Glaube an den dreifaltigen Gott, die eine Taufe auf seinen Namen, der Glaube an Jesus Christus, den Erlöser der Welt und sein befreiendes Evangelium, das in der Kirche weiterlebt. Wenn wir uns der Unterschiede in Lehre und Ordnung unserer Kirchen bewusst werden, wie sie vor allem in den Fragen des Kirchen- und Amtsverständnisses noch vorhanden sind, bleibt dieses gemeinsame Fundament so stark, dass es uns zusammenhält.
Der gemeinsame Glaube und der ausdrückliche Wille Jesu (Joh. 17,21) verpflichten uns, den eingeschlagenen Weg der Suche nach der sichtbaren Einheit der Kirche mit Geduld und Beharrlichkeit fortzusetzen.
Die folgenden Leitlinien für Ökumenische Gemeindepartnerschaften zeigen konkrete Möglichkeiten auf, wie Gemeinden vor Ort ihre ökumenischen Beziehungen im Blick auf mehr Verbindlichkeit und Kontinuität weiterentwickeln können. Die Idee Ökumenischer Gemeindepartnerschaften knüpft an die in der „Charta Oecumenica“2# (2001) formulierten „Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa“ an. Sie stellt eine Konkretion der „Charta Oecumenica“ für die ökumenische Situation in Deutschland dar, wie sie anlässlich ihrer feierlichen Unterzeichnung auf dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 ausdrücklich gewünscht wurde.
2. Wozu Leitlinien für Ökumenische Gemeindepartnerschaften?
Die gemeinsame evangelisch-katholische Kommission der (Erz-)Bistümer Münster und Paderborn, der Lippischen Landeskirche und der Evangelischen Kirche von Westfalen nimmt diesen Anstoß der Charta Oecumenica auf. Mit den vorgelegten Leitlinien soll der ökumenische Impuls in den Gemeinden in der Region Westfalen/Lippe neu belebt und gefördert werden, damit vor Ort das ökumenische Miteinander konkret und ermutigend erfahren wird. Aus vielen Gründen ist die ökumenische Situation vor Ort sehr unterschiedlich.
  • Die Leitlinien wenden sich an Gemeinden, die noch am Anfang eines gemeinsamen Weges stehen und ermutigen sie zum ökumenischen Engagement.
  • Sie wollen für die Gemeinden, die seit langem in guter ökumenischer Gemeinschaft leben, eine Hilfe bieten, um das Erreichte zu sichern und mehr Kontinuität in der ökumenischen Arbeit zu erreichen.
  • Sie können für Gemeinden, die ein hohes Maß an Verbindlichkeit anstreben, als Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung dienen.
Zwischen vielen evangelischen und katholischen Kirchengemeinden wie auch mit anderen Gemeinden, die Kirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) angehören, ist in den vergangenen Jahrzehnten in Westfalen/Lippe eine tiefe und fruchtbare geistliche Gemeinschaft gewachsen: Gegenseitige Achtung und Anerkennung prägen den Alltag vielerorts. Besondere ökumenische Ereignisse werden zu Höhepunkten im Kirchenjahr und entfalten Strahlkraft über den kirchlichen Bereich hinaus in die Stadt, in das dörfliche Umfeld, in die Region. Aufgaben im sozialen und karitativen Bereich werden gemeinsam oder in gegenseitiger Absprache getragen. Telefonseelsorge oder Hospizarbeit sind sichtbarer Ausdruck einer „stillen Ökumene“. Die religiösen Schulwochen werden seit Jahrzehnten gemeinsam veranstaltet.
Trotz dieser vielen ermutigenden Erfahrungen gibt es auch Kirchengemeinden, die noch am Anfang eines guten Miteinanders stehen. Hinzu kommt, dass gegenwärtig die Kirchen und Kirchengemeinden großen geistlich-missionarischen Herausforderungen begegnen, aber auch die Aufgaben struktureller und finanzieller Neugestaltung bewältigen müssen. Gegen die Tendenz in dieser Situation das ökumenische Engagement als zusätzliche Aufgabe an die Seite zu stellen, kann ökumenische Kooperation zur Entlastung in diesen Aufgabenfeldern führen. Denn die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, und die Aufgaben, die wir zu bewältigen haben, sind ähnlich.
„Angesichts vielfältiger Orientierungslosigkeit, der Entfremdung von christlichen Werten, aber auch mannigfacher Suche nach Sinn sind die Christinnen und Christen besonders herausgefordert, ihren Glauben zu bezeugen. Dazu bedarf es des verstärkten Engagements und des Erfahrungsaustausches in Katechese und Seelsorge in den Ortsgemeinden. Ebenso wichtig ist es, dass das ganze Volk Gottes gemeinsam das Evangelium in die gesellschaftliche Wirklichkeit hinein vermittelt wie auch durch sozialen Einsatz und die Wahrnehmung politischer Verantwortung zur Geltung bringt.“ (Aus: Charta Oecumenica II/2)
3. Leitlinien für Ökumenische Gemeindepartnerschaften
3.1 Konkrete Schritte aufeinander zu
Bereits 1977 haben Erzbischof Degenhardt3#, Bischof Tenhumberg und Präses Thimme für unsere Kirchen das gemeinsame Anliegen formuliert, „wonach das Maß der Verbundenheit in der Lehre durch die Zusammenarbeit der Kirchen im Dienst an den Christen und an der ganzen Gesellschaft zum praktischen und wirksamen Ausdruck kommen soll.“
3.1.1 Einander kennen- und verstehen lernen
Das gegenseitige Kennen lernen steht am Anfang aller ökumenischen Bemühungen und ist zugleich eine bleibende Aufgabe. Vor allem junge Menschen, aber auch Erwachsene, die neu zur Gemeinde kommen, brauchen dazu Gelegenheit und Anstoß. Wir nehmen in unseren Gemeinden wahr, dass das Wissen um Frömmigkeit und gelebten Glauben der eigenen und erst recht der jeweils anderen Konfession, schwindet. Wir ermuntern die Gemeinden zu allen Initiativen, die Glauben vertiefen und ökumenisches Lernen fördern.
3.1.2 Gemeinschaft im geistlichen Leben, in Gebet und Gottesdienst
Gemeinschaft im geistlichen Leben, in Gebet und Gottesdienst ist das Herz aller ökumenischen Überlegungen und Initiativen. Ohne diese Mitte droht die Ökumene einem oberflächlichen Aktionismus zu verfallen, der letztlich leer läuft. Das ökumenische Anliegen sollte in allem Beten und gottesdienstlichem Tun in der Gemeinde seinen festen Platz haben, sowohl in den eigenen als auch in gemeinsamen Gottesdiensten oder Gebeten.
3.1.3 Zusammenarbeit in Kirche und Gesellschaft
Zum Wesen christlicher Gemeinden gehört es, dass sie ihr gemeinsames Zeugnis nicht nur vor der Welt ausrichten, um ihr ein Beispiel der Gemeinschaft zu geben, sondern auch für die Welt, damit möglichst viele Menschen etwas von der Güte und Liebe Gottes zu spüren bekommen. Vieles im Bereich von Caritas und Diakonie wurde in den letzten Jahrzehnten schon im ökumenischen Geist miteinander getan. Die Kirchen und Gemeinden müssen sich aber fragen, „ob sie nicht in allen Dingen gemeinsam handeln müssten, abgesehen von solchen, in denen tiefe Unterschiede der Überzeugung sie zwängen, für sich allein zu handeln.“ (Lund 1952) Nicht das gemeinsame Handeln muss begründet und gerechtfertigt werden, sondern das getrennte.
3.2 Welche Inhalte sollten Ökumenische Gemeindepartnerschaften haben?
Das gemeinsame Fundament der Partnerschaft:
Die Heilige Schrift
Jesus Christus, Erlöser der Welt
Die eine Taufe als sakramentales Band der Einheit
Glaube an den dreieinen Gott
Der Dank an Gott für die bereits im Heiligen Geist geschenkte und sichtbar gewachsene Einheit.
Ökumenische Grundhaltungen der Partnerschaft, die aus dem Leiden an der Trennung erwachsen und in die Leidenschaft für die Einheit der Christen führen:
Offener Austausch und die Bereitschaft, das Gute beim anderen zu entdecken
Zusammenarbeit „auf gleicher Augenhöhe“
Wechselseitige Anteilnahme an den geistlichen Reichtümern
Das Gebet füreinander
Gastfreundschaft
Offenheit für weitere Partner
Begegnungsfelder der Partnerschaft mit konkreten Beispielen:
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Gemeinsames Gebet und Gottesdienst
Regelmäßige ökumenische Gottesdienste
Weltgebetswoche für die Einheit der Christen / Weltgebetstag der Frauen
Ökumenische Friedensdekade/Friedenstage
Ökumenische Kurzandachten (z.B. im Rahmen der Citypastoral)
Ökumenisches Taufgedächtnis
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Gemeinsames Gespräch
Ökumenisches Bibelgespräch/Bibelwoche
Was eint – was trennt?
Typisch katholisch – typisch evangelisch – Einheit und Vielfalt christlicher Frömmigkeit (z.B. Feiertage)
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Begegnungen zwischen Mitarbeitern, Gemeindegremien und Gemeindegruppen
Ökumenisches Konveniat / ökumenische Pfarrkonferenz
Begegnung zwischen Gemeindegruppen, besonders unter Jugendlichen
Begegnung zwischen Leitungsgremien (Presbyterium, Gemeindebeirat, Kirchenvorstand, Pfarrgemeinderat)
Gründung einer lokalen ACK
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Konfessionsverschiedene Ehen und Familien
Ökumenische Ehevorbereitungskurse
Gründung ökumenischer Familienkreise
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Gemeinsame Feste
Die einzelnen Arbeitsfelder der Partnerschaft:
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Gemeinsam Zeugnis geben (Martyria)
Kirchliche Erwachsenenbildung
Schule
(Kinder-)Bibelwochen
Missionarische Gemeindeprojekte
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Gemeinsamer Dienst (Diakonia)
Besuchsdienste für kranke und ältere Menschen
Gemeinsame Besuche bei Neuzugezogenen
Ökumenische Flüchtlingsarbeit
Ökumenische „Tafeln“
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Gesellschaftliche Verantwortung
Gemeinsame Einrichtungen (Bahnhofsmission; Hilfeeinrichtungen für Obdachlose, Arbeitslose, Suchtkranke, Eine-Welt-Arbeit etc.)
Gemeinsame Beratungsdienste (z. B. Telefonseelsorge, Ehe-, Erziehungs-, Lebensberatungsstellen)
Zusammenarbeit bei Sozialstationen, Kindergärten, Krankenhäusern oder Altenheimen
Woche für das Leben
Friedensdekade
Ökumenische Aktionen wie z. B. „Dekade zur Überwindung von Gewalt“
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Kommunale Verantwortung
Gemeinsame Mitsprache bzw. Mitwirkung in Anliegen der kirchlichen Jugendarbeit/des Jugendschutzes
Gemeinsame Mitsprache oder Mitwirkung bei der Planung kirchlicher Gebäude, Einrichtungen oder Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Altenheime.
3.3 Auf dem Weg zu mehr Verbindlichkeit
Die Charta Oecumenica formuliert:
„Wir verpflichten uns, auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens gemeinsam zu handeln, wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind und nicht Gründe des Glaubens oder größerer Zweckmäßigkeit dem entgegenstehen“. (Aus: Charta Oecumenica II/4)
3.3.1 Formen und Einrichtungen ökumenischer Begegnung
Unsere Kirchen und die Gemeinden sind lebendig, verändern sich. Aktuell erfahren wir einen besonderen Veränderungsdruck in der evangelischen und der katholischen Kirche gleichzeitig. Es geht zuerst um geistlich-missionarische Aufgaben, aber auch um die Bewältigung struktureller Krisen. Wir fördern die Bereitschaft zwischen den Gemeinden, sich hierüber offen und in geschwisterlichem Geist gegenseitig zu informieren und miteinander abzustimmen. Die verbindliche Verabredung zu gemeinsamen Treffen, die dem Austausch auf der Leitungsebene wie zwischen den Gemeinden dienen, sollte selbstverständlich sein.
3.3.2 Vertragliche Vereinbarungen „Ökumenischer Gemeindepartnerschaften“
Gemeinden, die darüber hinaus ihrem gewachsenen Miteinander verbindliche und sichtbare Formen geben wollen, können dazu die Form der Vereinbarung zur Gemeindepartnerschaft nutzen. Eine solche Vereinbarung bindet, aber sie zwingt nicht. Sie setzt einen intensiven Beratungsprozess in den Gemeinden und den örtlichen Leitungsgremien voraus und sollte der Kirchenleitung zur zustimmenden Kenntnis vorgelegt werden.
3.3.3 Die neue Perspektive: Ökumene als Entlastung durch Kooperation
Angesichts besonderer finanzieller und struktureller Veränderungen wächst in vielen Gemeinden der Wunsch, die Wahrnehmung von Aufgaben durch eine gemeinsame Trägerschaft für die Zukunft zu sichern. Die gemeinsame Nutzung von Gemeinderäumlichkeiten, insbesondere auch Kirchen, kann dazu beitragen, dass Gemeinden vor Ort präsent bleiben können. Zum Gelingen solcher Projekte ist es unverzichtbar, dass klare rechtliche Regelungen getroffen werden, die alle Fragen klären und auch den möglichen Fall einer späteren Auflösung regeln. Allein finanzielle Überlegungen werden allerdings nicht zu einem ökumenischen Miteinander führen. Deshalb setzen gemeinsame Nutzungsverträge zwischen Gemeinden, die der Genehmigung durch die Kirchenleitungen bedürfen, voraus, dass die Partnerschaft mit Leben erfüllt werden kann.
3.3.4 Offenheit für weitere Partner
Ökumenisches Miteinander umfasst mehr als die evangelischen und katholischen Gemeinden an einem Ort. Darum sollte jede ökumenische Kooperation offen bleiben für die anderen christlichen Kirchen und Gemeinden am Ort, die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) sind und den weltweiten Horizont der Ökumene.
3.3.5 Das gemeinsame Ziel: Die volle Einheit der Christen
„Das Gespräch der Kirchen über die Lehre ist nur ein Teil der Aufgabe, die ihnen heute gemeinsam gestellt ist. Durch die Zusammenarbeit in ihrem Dienst an den Christen und an der ganzen Gesellschaft kommt das Maß der Verbundenheit in der Lehre zum praktischen und wirksamen Ausdruck. Diese Zusammenarbeit muss mehr und mehr vervollkommnet werden. Sie lehrt unsere Kirchen, einander besser kennen zu lernen und höher zu achten und den Weg der Einheit der Christen zu bereiten.“4#

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1 ↑ Folgende, von den jeweils amtierenden Präsides der Evangelischen Kirche von Westfalen bzw. den (Erz-)Bischöfen von Münster und Paderborn herausgegebenen Bände sind erschienen: „Wege der Kirchen zueinander“ (1973); „Kirchen im Lehrgespräch“ (1975); „Kirchen im gemeinsamen Zeugnis“ (1977); „Kirchen im gemeinsamen Handeln“ (1977); „Kirchen auf gemeinsamem Wege“ (1977); es handelt sich hierbei um eine Zusammenfassung der drei zuletzt genannten Veröffentlichungen in einem Band); „Kirchen in gemeinsamer Verantwortung“ (1982); „Glaube und Frömmigkeit“ (1986).
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2 ↑ Der Text der „Charta Oecumenica“ kann unter folgender Adresse im Internet abgerufen werden: www.cec-kek.org/Deutsch/ChartafinG.htm.
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3 ↑ aus dem Vorwort zu „Kirchen im gemeinsamen Handeln“, vgl. Fußnote 1 Seite 1.
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4 ↑ Kirchen auf gemeinsamem Wege, a.a.O., S. 6